Freitag, den 17.09.2021: Myken – Røst
Um 5 Uhr klingelt der Wecker. Es dämmert schwach. Wir stehen zügig auf und während wir uns abfahrtbereit machen, kochen wir Wasser auf und füllen alle Thermoskannen, die wir haben. Gleich hinter der NE-Ausfahrt von Myken rollen wir die Genua aus und werden mit 10-15 kn achterlichem SE-Wind nach Røst geblasen. Am Nachmittag nimmt der Wind ab und kommt inzwischen platt von hinten. Das Schaukeln zehrt an den Nerven. Wir kreuzen vor dem Wind, um etwas Stabilität ins Schiff zu bringen. Um 18:35 haben wir es geschafft. Die Einfahrt in spannend, weil sie auf den ersten Blick nicht richtig erkennbar ist. Und die zahlreichen Steine in der Seekarte und die Brecher an den entsprechenden Stellen im Meer mahnen zur Vorsicht.
Ab dem Ansteuerungstonnenpaar ist aber alles übersichtlich. Die Genua bergen wir vor Gleda und fahren mit dem Motor ins hintere Hafenbecken. Neben dem Damm, der Gleda mit Røst verbindet gehen wir an der Flytebrygge von Johanson längsseits. Noch während des Anlegemanövers kommt ein Mann zu uns ans Schiff, der uns anscheinend über Marine Traffic beobachtet hat. Wir wären ja ziemlich langsam gewesen meint er. Dann macht er Kerstin mit den örtlichen Gegebenheiten bekannt, während ich das Logbuch abschließe. Es gibt drei empfehlenswerte Restaurants. Das Pub und Restaurant Querini ca. 1km in Richtung des Hauptortes. Im roten Gebäude schräg gegenüber ist ein Hotel mit Restaurant. Und direkt gegenüber im Fiskarheim gibt es heute Abend ein großes Essen. Wir sollten einfach vorbeikommen. Nun müsse er aber schnell weg, denn die Fähre käme gleich.
Wir befestigen weiter die Festmacherleinen als ein weiterer Mann mit Hund auftaucht und sich als Johanson Junior vorstellt. Er hat den Schwimmsteg zusammen mit seinem Vater gebaut. Die Fischer würden immer älter, hätten keine Lust mehr an den hohen Spundwänden die Kaimauer hochzuklettern. Ein Tag mit Strom kostet 200 NOK. Dusche und Waschmaschine zeigt er Kerstin und erzählt ihr, als er erfährt, dass wir aus Myken kommen, dass er im Sommer zum ersten Mal nach Myken fahren wollte mit einem alten Wikingerboot, um einen Film zu drehen. Der Betreiber des Wikinger-Museumsschiffs bekam aber einen Herzinfarkt, deshalb mussten sie ein altes Walfänger Boot nehmen. Er sei total begeistert von Myken gewesen. 12 Leute lebten dort ständig. Zwischen Myken und Røst gäbe es keine Kommunikation. Fast so wie in bayrischen Alpentälern 😊
Wir sind von der langen Überfahrt müde und bleiben an Bord.
Abfahrt 10:30 | Ankunft 17:30 | ||
---|---|---|---|
Luft 11°, 1020-1021 mbar, fast keine Wolken, bedeckter Himmel, Wind SE 10kn – SSE 10-15kn |
|||
Distanz (sm) | Gesamt | Segel | Motor |
Tagesweg | 46 | 43 | 3 |
Übertrag | 165 | 129 | 36 |
Summe | 211 | 172 | 39 |
In Røst gibt es verschiedene Kaianlagen mit Liegeplätzen. Grundsätzlich muss man sich darüber klar sein, dass Røst ein Fischereihafen ist. Wir haben bei Johansen an einem neuen privaten Schwimmsteg festgemacht. Hier gibt es Duschen und eine Waschmaschine. Daneben gibt es noch den kommunalen Kai und weitere private Kaianlagen. Man muss einfach fragen, ob man festmachen darf und was es für Infrastruktur gibt.
Vorne in Glea ist ein Joker-Supermarkt und Werkzeugladen. Dort kann man zum Einkaufen und Tanken anlegen.
Røst
Eldre ut på middag
Um der Vereinsamung, vor allem älterer Menschen, in der Corona Pandemie entgegenzuwirken veranstaltet die Gemeinde Røst gemeinsame Abendessen für ältere Menschen ab 65. Für den Transport stellt das Røst Bryggehotell seinen Minibus zur Verfügung. Freiwillige werden dazu eingeladen, Vorträge zu halten oder unterhaltsame Beiträge beizusteuern. Im Herbst 2021 sind 7 derartige Abendessen geplant, um die soziale Gemeinschaft und das Wöhlbefinden zu fördern. Der Eigenanteil beträgt 125 kr.
Das Leid der norwegischen Seefahrer
So wie uns der Abend mit Karl-Johan und Magne2 in Sandessjøen ein wenig die Augen für die Probleme der norwegischen Seefahrt geöffnet hat:
Früher ist man manchmal jahrelang auf einem Schiff unterwegs gewesen. Heute nur noch einen Monat, dann geht es wieder nach Hause. Heute bestehen fast alle Schiffsmannschaften aus Phillipinos. Höchstens Kapitäne und Offiziere sind manchmal noch Norweger. Aber das machen immer mehr auch die Phillipinos.
So öffnet uns das Gespräch mit Jan die Tür einen Spalt zu den Problemen des Fischfangs.
Das Leid der norwegischen Fischer
In Røst gibt es fünf Fischfabriken bei 520 Einwohnern, dazu noch eine alte traditionsreiche Tranfabrik. Die Holzgestelle zum Trocknen des Fischs gehören den Fabriken. Die Fischer bringen ihren Fang an Land, verkaufen ihn an eine Fischfabrik und fahren wieder raus.
Früher war hier alles voller Fischerboote. In den letzten Jahren sind es immer weniger geworden. Es gibt eine Fischfangquote, die zum Schiff gehört.
Das teuerste an einem Fischerboot ist die daran hängende Quote. Sie allein ist für den horrenden Preis verantwortlich, der beim Verkauf eines Fischerboots gezahlt werden muss. Jan erzählt von einem alten Fischer, der sein Schiff für 40 Mio NOK (=4 Mio €) verkauft hat. Etwa die Hälfte muss er an Steuern zahlen. Die verbleibenden 20 Mio sind seine Rente. Der Käufer hat dann die Quote auf ein anderes Schiff übertragen, womit das verkaufte Fischerboot nur noch für Freizeitaktivitäten taugt.
Mit meiner Frage, ob die Quote nicht das Problem der Überfischung in den Griff bekommen soll, stoße ich ein Wespennest. Wie soll denn der Käufer die 40 Mio jemals verdienen, wenn die Quoten immer geringer werden? Mich erinnert das irgendwie an die griechischen LKW-Fahrer, deren Lizenz ebenso an ihrem Fahrzeug hängt oder hing. Es ist unglaublich schwer, solche Strukturen zu verändern. Manchem Landarzt mag es bei uns ähnlich ergehen, wenn er seine, am Anfang des Berufslebens teuer erstandene Praxis, an einen Nachfolger veräußern will, aber keinen findet.
Und Jan erzählt weiter. In Røst gibt es fünf Fischfabriken, weil hier die klimatischen Bedingungen am besten seien. Røst ist die nördlichste Kommune, die keinen meteorologischen Winter hat. Hier trocknet der Fisch, ohne zu gefrieren. Aber da der Kabeljau von Norden kommend um die Lofoten herum in den Westfjord wandert, um dort zu laichen., kommt er zuerst außen in Henningsvær an. Neben der Quote, die am Schiff hängt, gibt es noch einen Topf für alle. Eine konkurrierende Quote. First come – first serve. Wer schneller und früher fängt kann also mehr vom Topf bekommen. Also der Fischer in Henningsvær mehr als der in Røst. Das hat zur Folge, dass immer mehr Fischer nach Norden abwandern, um dort mehr fangen zu können. Hinzu kommt noch ein zweites Problem. Wenn der Kabeljau auf den Trocknungsgestellen gefriert, dann verdirbt er. Man darf ihn also erst dann trocknen, wenn es frostfrei ist, was in Røst immer der Fall ist. Möglicherweise spielt hier die Erderwärmung eine Rolle. Wenn heutzutage schon im Januar der Kabeljau in Henningsvær getrocknet werden kann, dann hat Røst verloren. Andererseits gibt es in Røst so viele Gestelle zum Trocknen, dass auch in Henningsvær gefangener Fisch hier Platz hat.
Pietro Querini
Pietro Querini war im 15. Jahrhundert der Kapitän eines Handelsschiffs der Republik Venedig.
Auf dem Weg nach Brügge in Flandern, geriet sein Schiff 1431 vor der Westküste Frankreichs in einen schrecklichen Sturm. Der Sturm zerstörte das Schiff, und die Matrosen mussten die Rettungsboote besteigen. Sie kämpften wochenlang gegen Sturm und Kälte. Viele Männer ertranken oder starben an Hunger und Erschöpfung, während sie auf dem Golfstrom weit über die Nordsee trieben.
Kurz nach Neujahr, im Januar 1432, strandeten die Überlebenden auf einer Insel inmitten der Schären bei Røst auf den Lofoten. Nur elf Mann einer insgesamt 68 Mann starken Besatzung schafften es. Sie wurden nach fast einem Monat von lokalen Fischern gefunden und verbrachten schließlich mehr als drei Monate in Røst.
Dieser dramatische Vorfall war der Ursprung des Handels zwischen Nordnorwegen und Italien, der die Kombination von norwegischem Stockfisch mit italienischer Küche hervorbrachte (Baccalà alla Vicentina).
Es gibt sogar eine Querini Oper, die jedes Jahr im August auf den Quirini-Festival aufgefåhrt wird.
Sie auch:
- Leslie Pariseau (September 19, 2016). „The Shipwrecked Sailors & the Wandering Cod“. Saveur. Retrieved February 1, 2020.
- „Baccala: Italian-Style Salt Cod“. The Spruce Eats. Retrieved February 1, 2020.
- Norwegian Broadcasting Cooperation reviews the Querini Opera
Samstag, den 18.09.2021: Røst
Eigentlich wären unsere Fahrräder für Røst genau die richtigen Fortbewegungsmittel. Es ist aber so windig, dass wir uns dazu entschließen, zum Einkaufen erstmal zu Fuß zu gehen. Eine gute Entscheidung, denn zu Fuß können wir die Hafenanlagen von Røst viel besser erkunden als mit dem Fahrrad. Die Sonne scheint und wir machen tolle Fotos von Fischerbooten und leeren Holzgestellen, an denen im Winter Fisch getrocknet wird. Es wird klar, dass Røst keine Urlaubshochburg ist, sondern ein Fischereihafen.
Beim Supermarkt Joker vorne auf Gleda kann man bequem mit dem Schiff anlegen, tranken und sich versorgen. Die Fischer haben einen kurzen Weg zum Supermarkt anders als die Einwohner von Røst, die sich mit dem Auto oder einige Kilometer zu Fuß zum Supermarkt bewegen müssen.
In den Räumen des Supermarkts gibt es auch einen Byggtorget. Für 300 NOK kaufe ich mir richtig warme Fingerhandschuhe. Leider gibt es sie in kleineren Größen für Kerstin nicht. Mit dem Verkäufer komme ich kurz ins Gespräch. Darüber, dass man auch in dieser Jahreszeit hier Segeln kann. Manchmal gibt es halt Sturm, dann muss man sich eben verkriechen und dann ist wieder schönes Wetter und man kann das Nordlicht sehen, so wie gestern. Mh. Wir sollten abends vielleicht doch ab und zu mal rausschauen.
Auf dem Rückweg zum Schiff kommt uns der Mann von gestern mit seinem winzigen Auto ohne Nummernschild entgegen. Nennen wir ihn der Einfachheit Jan. Jan sieht uns und hält an und fragt, ob wir Fisch haben möchten. Er hätte tiefgefrorenen. Wir freuen uns und bejahen und er kommt 5 Minuten später ans Schiff mit zwei Lyr-Filets. Lyr=Pollack aus der Familie der Dorsche. Meine Frage wieviel er dafür haben wolle missversteht er und versichert mir, dass die zwei Filets sicher für zwei Personen reichen würden. Auf erneute Nachfrage macht er fast entrüstet deutlich, dass er selbstverständlich nichts dafür bekommen wolle. Ausführlich erklärt er uns noch, wie sie für gewöhnlich den Fisch zubereiten. In Salz, Pfeffer und Mehl wälzen, dann in Butter braten. Wenn man Sauce möchte, einfach Wasser zugeben und natürlich Zwiebeln dünsten und drüber geben. Dazu würden sie Kartoffeln essen.
Wir machen uns gleich wieder auf, um die Halbinsel südlich von Gleda zu erkunden. Hier ist das Hotel mit Restaurant, eine Fotogalerie (geschlossen) und das Fiskarheim. Auf dem Weg dorthin überholt uns wieder Jan mit seinem kleinen Auto und deutet auf das Fiskarheim. Also gut. Treffen wir uns dort. Er versichert uns, dass es hier Verdens beste Waffler gäbe. Die Köchin sei eine Inderin und verstehe ihr Geschäft. Er bestellt uns Waffeln. Man bedient sich selbst. Mit Butter und Erdbeermarmelade schmecken sie am besten. Kaffee dazu so viel man möchte.
Jan hat viel zu erzählen. Nicht nur, dass er vor Corona noch in Pakistan war. Als Kerstin ihre Waffel holt zeigt er mir auf seinem Handy ein Bild von seinem Schatz, einer 27-jährigen Pakistanerin. „We are engaged“ meint er und strahlt über das ganze Gesicht. Er ist schätzungsweise Mitte – Ende 50. Gestern hätte es ja hier im Fiskarheim ein großes Essen gegeben. Für alle über 65 Jahre kostenlos. Das gäbe es drei Mal im Jahr. Bei jedem der drei Restaurants einmal.
Da es immer noch unangenehm windig ist wandern wir nach Norden in den Ort bis zur alten Kirchenruine und im weiten Bogen durch das Moorgebiet beim Flughafen wieder zurück.