22. – 23.08.2014
Um 10:25 Uhr legen wir ab, fahren eine knappe Stunde mit dem Motor und segeln dann mit Groß und Yankee die Küste entlang. Der Regen macht ein paar Stunden Pause, kommt aber mittags mit einem letzten Schauer zurück. Danach klart der Himmel endlich auf. Um 16 Uhr passieren wir die Oostendebank. Gegen Abend dreht der Wind auf West und wird schwächer, so dass wir um 22 Uhr das Stagreitersegel abschlagen und unter Motor weiterfahren. Das Groß lassen wir zur Stabilisierung von Barrabas stehen. Die Küstenverkehrszone, in der wir uns bewegen, ist stark befahren und wir tuckern hoch konzentriert durch die Nacht. Bald sehen wir am Horizont im Osten einen rötlichen Schein. Der Sonnenaufgang kann das noch nicht sein. Nach ein Bisschen Nachdenken und einem Blick auf die Karte verstehen wir, was da auf uns zu kommt. Wir sehen den Widerschein der Fackeln der Raffinerien von Rotterdam.
Beim Näherkommen werden die Konturen der Industrieanlagen immer deutlicher sichtbar. Sie sind in strahlendes Flutlicht getaucht. Das Verkehrstrennungsgebiet des Ärmelkanals spaltet sich vor Rotterdam auf. Ein stark befahrener Zweig führt in den Rotterdamer Hafen hinein. An der Abzweigung befindet sich ein Kreisverkehr, in den sich die großen Tanker und Frachter einsortieren, um in ihrer jeweiligen Zielrichtung wieder auszuscheren oder umgekehrt aus den verschiedenen Richtungen kommend geordnet in den Hafen von Rotterdam einzulaufen. Das sieht in der Nacht wie zwei sich langsam gegenläufig bewegende Lichterketten aus, die sich in einem Knoten umeinander drehen um mit größerer Dichte dann im hell erleuchteten Rotterdam zu verschwinden. Was größere Dichte bedeutet, erkennen wir zuerst auf dem Radar und dann in der Wirklichkeit. Ein Schiff nach dem anderen verschwindet mit nur wenigen hundert Metern Abstand im gleißenden Licht der Hafeneinfahrt, während sich in umgekehrter Richtung Lichtpunkte davon lösen und langsam zu schwarzen Schiffssilhouetten heranwachsen, die in Zeitlupe vorüberziehen. Es gibt nur einen schmalen betonnten Streifen, in dem kleine Schiffe dieses Trennungsgebiet queren dürfen. Je näher wir dem Trennungsgebiet kommen, desto mehr begreifen wir, dass wir gerade dabei sind auf eine optische Täuschung hereinzufallen. Der Effekt ist ähnlich, wie der bei startenden Jumbo-Jets. Sie scheinen wie in Zeitlupe zu schweben, obwohl sie tatsächlich mit mehreren hundert Stundenkilometern in den Himmel aufsteigen.
Plötzlich sieht es so aus, als würde sich in der Kette der Schiffe, die aus Rotterdam auslaufen, eine Lücke öffnen, die wir genau treffen können. Doch immer noch unterschätzen wir die Entfernung. Wir sind weiter weg, als wir glauben und müssen mit ansehen, wie ein größerer Frachter noch in der Hafenausfahrt beschleunigt und seinen Vordermann überholt. Schon ist die Lücke wieder geschlossen. Uns bleibt nichts anderes übrig, als den Motor zu drosseln und auf die nächste Gelegenheit zu warten. Die kommt bald, denn einlaufende Schiffe bleiben gerade aus und so können wir die nächste Lücke in der Kette der auslaufenden Schiffe anpeilen und das Verkehrstrennungsgebiet wohlbehalten passieren. Langsam dämmert der Morgen und um die Lichter in der Kette herum entstehen nach und nach Konturen, die sich zu riesigen Tankern und Containerschiffen entwickeln.
Ein tiefer Eindruck, an den wir uns noch lange erinnern werden.
Das Wetter wird wieder schlechter. Um uns herum türmen sich Gewitterwolken auf. Über eine Stunde sehen wir immer wieder Regenschleier an uns vorbeiziehen, dann trifft es auch uns. Kerstin ist gerade auf dem Vorschiff um das Yankee-Segel zu bergen, als uns eine Böe mit solcher Wucht trifft, dass das Groß zerreißt. Das geht so schnell, dass wir überhaupt nicht reagieren können. Das Großsegel ist in mehrere Streifen zerrissen, die sich nur schwer bändigen lassen. Aber einen Schönheitspreis müssen wir jetzt auch nicht mehr gewinnen und mehr schlecht als recht bändseln wir die Tuchfetzen am Großbaum fest, während strömender Regen auf uns niederprasselt. Kaum haben wir das Chaos gebändigt hört der Regen auf. Die Gewitterwolke ist über uns hinweggestürmt. Das war’s.
Am Abend sehen wir auf Facebook, dass ein Bekannter genau dieses Gewitter von Rotterdam aus fotografiert hat. Es sieht beeindruckend aus. Und da waren wir drin! Wow.
Gegen 11 Uhr erwischt uns nochmal ein Gewitter. Dieses Mal streift es uns nur mit der Seite. Nass werden wir trotzdem nochmal. Um 14 Uhr laufen wir in die Marina von Ijmuiden ein. Der Himmel glänzt weiß und blau. Die Sonne scheint. Wir können unsere durchnässten Sachen im Cockpit trocknen.
24.08.2014 (So)
Am Vormittag tauschen wir das kaputte Großsegel gegen Adrians Expeditionssegel aus. Es ist aus kräftigerem Tuch und nicht so morsch, wie das andere.
Am frühen Nachmittag wollen wir ablegen. Der Mo-tor springt nicht an. Das Motoröl hat eine Nivea Creme artige Farbe mit einem leichten Grünstich. Lecker sieht das aus. Wir verstehen zu wenig vom Motor, um abschätzen zu können, was da nicht in Ordnung ist.
Die Marina von Ijmuiden ist recht groß. Es gibt mehrere Servicebetriebe, auch einen Mechaniker. Nur ist heute niemand da, weil Sonntag ist.
Also müssen wir wieder einen Tag warten.
Die Marina hat eine Dreiecksform. Die lange Seite grenzt an den Noordzeekanaal. An der einen kurzen Seite liegen die Servicebetriebe und an der anderen befindet sich die Zufahrt und mehrere Restaurants. An diesem Wochenende stehen davor viele Jahrmarktbuden. Dazwischen herrscht großes Gedränge. Viele Wochenendausflügler genießen die Sonne und vergnügen sich an den Ständen. Wir machen einen Rundgang. Doch der Trubel ist uns zu groß und wir wandern lieber am Strand entlang. Dort gibt es ein paar nette kleine Restaurants. Nachdem abends etwas Ruhe eingekehrt ist, essen wir dort zu Abend. Es gibt Baby-Schollen. Die Großen sind ausverkauft. Das Meer ist überfischt.
Am Montag werden wir vom Zoll geweckt. Sie sind nur zu zweit und treten nicht so überfallartig auf, wie ihre französischen Kollegen. Trotzdem kontrollieren sie alles, lassen sich die Papiere zeigen und wir erzäh-len ihnen die Geschichte von Barrabas. Unser Schiff sieht schon abenteuerlich aus, mit seinem halb ver-rotteten Deck und den roten Dieselkanistern darauf, in denen wer weiß was transportiert werden kann. Es sieht ebenso aus, als käme dieses Schiff von weit her und hier ist nun mal die Außengrenze des Schengen Raums. Verständlich, dass da kontrolliert wird.
Nach der Kontrolle suchen wir den Mechaniker, der auch gleich an Bord kommt. Er schaut sich den Motor an, sieht die Niveacreme am Ölmessstab und nickt wissend. Er wisse, was das Problem ist, könne es aber nicht auf die Schnelle auf Deutsch oder Englisch erklären. Es sei auch keine große Sache, nur hätte er jetzt leider keine Zeit, da er nach Amsterdam muss. Morgen könne er uns aber weiterhelfen.
Wir überlegen kurz, ob wir auch einen Ausflug nach Amsterdam machen sollen, aber wir sind von den ganzen Rückschlägen und Katastrophen so genervt, dass wir uns lieber an Bord ausruhen.
Wir waschen zwei Waschmaschinen, essen an Bord und schreiben Tagebuch.
26.08.2014
Morgens verlegen wir Barrabas an die Tankstelle vor der Werkstatt. Der Mechaniker kommt bald und erklärt uns, während er mit der Arbeit beginnt, was das Problem ist und wie er es lösen will. Wenn ich es richtig verstanden habe, dann kann es sein, dass bei stehendem Motor Wasser aus dem äußeren Kühlkreislauf durch den Auspuff in den Motor und die Zylinder laufen kann. Die Schwierigkeiten, die wir in den letzten Tagen beim Starten des Motors hatten, kamen wohl daher. Die einfache Abhilfe besteht darin, hinter der Wasserpumpe ein deutlich über die Wasserlinie reichendes U-Rohr einzubauen, dass an der höchsten Stelle entlüftet wird. Bei stehender Wasserpumpe dringt an der Entlüftungsstelle Luft ein, wodurch das Wasser im U-Rohr absinkt und nicht mehr in den Motor laufen kann. Das Entlüftungsventil, das der Mechaniker bei uns einbaut, scheint ein Standardbauteil von Volvo Penta zu sein. Das Motor-öl muss natürlich auch ausgetauscht werden und der Mechaniker empfiehlt uns, das Motoröl ständig zu kontrollieren und bei Verfärbung nochmal zu tau-schen, damit ja kein Wasser mehr darin ist. Das der Motor durch das Eindringen des Wassers geschädigt wurde, ist aber eher unwahrscheinlich. Hoffen wir das Beste.